Donnerstag, 18. November 2010

Liebesbrief.

Wenn ich Auto fahre, sitzt du neben mir und schaust aus dem Fenster. Deine Hand liegt in meinem Schoß und ich erzähle dir von dem furchtbaren Gespräch mit L. und dem nervigen Master-Studenten, der mein Geschichtstutorium leitet. Er hat einen Iro, so wie Sascha Lobo. Und auch wenn ich im tiefsten Inneren Iros ablehne – darf Sascha Lobo einen haben. Aber nicht so der Master-Student, der mein Geschichtstutorium leitet. Ich möchte ihn sedieren und mit einem elektrischen Rasierer über diese dämlichen Stoppeln fahren – solange bis keine mehr zu sehen sind.

Meine Quasi-Cousine, die jetzt meine Kommilitonin ist, sagt, dass er ganz nett sei, aber genau das ist es. Er ist nett und du weißt, wie sehr ich das Wort „nett“ hasse.

Was soll das bedeuten? Nett.

Letztens hat mir Max erzählt, dass seine neue Freundin ausgesprochen nett sei. Da habe ich zu Max gesagt, wenn mein Partner, so etwas über mich sagen würde, dann würde ich auf der Stelle zerfallen. Eine Kreissäge würde mich symbolisch in dünne Scheiben schneiden. Von meinem Kopf bis zu den Zehen. Meine rechte und linke Seite würden in ihre geforderten Richtungen fallen und wenn ich Glück hätte, würde der Mittelteil stehen bleiben. Aber wahrscheinlich habe ich kein Glück.

Du sagst niemals Wörter, die ich nicht mag. Du schimpfst auch nicht mit mir, wenn ich meine Hand fest auf die Hupe presse, weil einer auf einer dreißiger Strecke ernsthaft 30 fährt. Du regst dich auch nicht auf oder rollst mit den Augen. Du würdest mich nie als aggressive Autofahrerin bezeichnen, sondern meine fordernde und konsequente Natur bewundern.

Wenn ich Angst vor meiner Schreibwerkstatt habe. Wenn ich Angst davor habe, diese verdammte Monadologie von Leibniz nicht sofort zu begreifen, dann kraulst du meinen Nacken. Du streichelst über meinen Kopf und versprichst mir zu erklären, was ich glaube, nicht zu verstehen. Du sagst mir, was er mit einer einfachen Substanz meint, die Zusammensetzungen eingeht und vergleichst sie mit uns, denn wir sind auch einfache Substanzen, die Zusammensetzungen eingehen. Du und ich.

Wenn ich geschafft nach Hause komme, öffnest du eine Flasche Rotwein. Du weißt ganz genau, welchen Wein ich mag. Du weißt auch, wann ich von Weißwein auf Rotwein wechsele und anders rum. Du kennst den genauen Tag – ohne, dass ich es dir erklären muss. Denn das Erklären kostet zu viel Zeit.

Zeit, die wir nicht haben. Die ich nicht mehr habe, denn ich muss Platon lesen. In jeder Vorlesung, in jedem Proseminar und in jedem Tutorium. Immer nur Platon. Man könnte meinen ich hätte intuitiv die richtigen Kurse gewählt. Man könnte auch behaupten die Humboldt-Universität hat eine Platon-Obsession. Ich glaube an das Zweite.

Während ich in der Küche stehe und etwas für uns koche, sitzt du an meinem großen dunklen Holztisch und erzählst mir wie dein Tag war. Der Tisch steht dort erst seit einem Monat. Seit mein Bilderrahmen auf meine Glasplatte gestürzt ist und sie in 13.534 Einzelteile zersplittert hat. Ich lag zu diesem Zeitpunkt in meinem Bett und habe alte Briefe gelesen bis plötzlich ein zerberstendes Scheppern durch meine Wohnung drang. Drei Stunden lang habe ich versucht meine Küche von den Splittern zu befreien. Bis heute trete ich fast jede Nacht, wenn ich mir etwas zu trinken holen will, in eine klitzekleine Scherbe. Sie erinnert mich daran, dass Dinge kaputt gehen. Aber das mit uns, das wird nicht kaputt gehen. Das kann unmöglich kaputt gehen, denn uns gibt es nicht.

Du gehst, wenn ich allein sein will und bleibst, wenn ich jemanden um mich möchte. Du nimmst mich fest in den Arm und küsst meine Stirn, wenn du siehst, dass ich so tue, als ginge es mir gut.

Du bist meine Mutter und mein Vater, wenn ich sie brauche. Und wenn ich sie nicht brauche, dann bist du mein bester Freund. Sobald ich nackt aus der Dusche trete, bist du der beste Geliebte, den ich je hatte.

Im Moment liegst du neben mir. Geduldig wartend bis ich mit allem fertig bin, von dem ich glaube, dass es wichtiger als alles andere ist. Du wartest auch geduldig, wenn ich nachts um 2:00 Uhr aufwache und nicht mehr schlafen kann. Du rennst mir nicht hinterher und ziehst mich nicht ins Bett. Du lässt mich einfach in der Küche sitzen – ohne einen Ton zu sagen. Fünf Stunden oder acht Stunden. Wenn die Sonne aufgeht und ich ins Bett zurückkehre, liegst du dort und nimmst mich mit unter deine Decke. So, als wenn nichts gewesen wäre. So, als wenn du still mit mir gewartet hättest. Ohne Furcht, weil du wusstest, dass ich wiederkomme.

Wenn das Hämmern in meinem Kopf zu stark wird, dann flüsterst du meinem Hämmern zu, es solle verschwinden. Es hört auf dich. Viel besser, als auf mich. Am Dienstag habe ich dir eine SMS aus meinem Seminar geschrieben. Dort ging es um Platon. Natürlich, um was sonst. Diotima erklärt ihm die Liebe und sagt: „Liebe ist Zeugung im Schönen. Sie hilft uns dabei, den Schmerz über unsere Sterblichkeit zu überwinden. Und weil ich so furchtbare Angst vorm Sterben habe, stand in der Nachricht an dich: „Heute Abend will ich unsterblich sein und du kannst dich entscheiden, ob ich ein Gedicht schreiben soll oder du mir ein Kind machen möchtest.“

Deine Antwort war, die, die ich erwartet habe. Du tust alles was ich erwarte und nie enttäuscht du mich. Es ist nicht weil du meine Gedanken lesen kannst oder mir zum Mund redest. Es ist auch nicht, weil du mir alles Recht machen willst, sondern weil deine Erwartungen, deine Gefühle und dein Sein mit meinen korrelieren. Sie schwingen im gleichen Rhythmus – ohne die Selben zu sein. Sie sind individuell und nie würden wir sie einander unterwerfen. Nie würden wir sie einfach verändern oder anpassen. Im Gegenteil. Sie dürfen atmen.

Wenn ich in meinem Bett liege und lesen muss, dann sitzt du im anderen Zimmer und liest auch. Nach getaner Arbeit begegnen wir uns in der Küche. Ich beuge mich nach vorne, um Musik zu finden, die wir beide fühlen können. Während ich das tue, legst du deine Hand auf meinen Hintern. Du krabbelst mit deinen Fingern unter mein Hemd und streifst langsam an meiner Wirbelsäule entlang. Mit der anderen Hand greifst du sanft meine Haare und ziehst an ihnen, damit ich mich umdrehe. Dieser Augenblick ist wie ein Rausch aus dem ich nie wieder erwachen will.

Denn niemand schafft es so schnell mein Herz zum Rasen zu bringen. Niemand schafft es so schnell das Hämmern in meinem Kopf zu beenden.

Und niemand existiert so wenig, wie Du.


Quelle: http://www.i-ref.de/proximity-liebesbrief

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